Amphorea Me Kéfi – Publication, 2021

Amphorea Me Kéfi (2021), cookbook, 20 x 26.5 cm, 292 pages, offset print, Lessebo paper, natural linen hardcover, bound, limited edition of 1300 copies, self-published in collaboration with the Charamandas family, Johanna Schaible and Martina Meier

Amphorea Me Kéfi, 2021, ist ein kollaboratives Projekt, realisiert in Zusammenarbeit mit meiner Familie – Pavlos, Regula and Stelios Charamandas – Martina Meier, Johanna Schaible und Juliette Chrétien. Dieses Buch entstand basierend auf der Rezeptsammlung meines Vaters und den Erfahrungen während den 30 Jahren, in denen meine Eltern in Solothurn eine griechische Taverne führten. Meine Grossmutter Fotiní kristallisierte sich in der Verdichtung der Geschichten um die Rezepte und die Kultur des gemeinsamen Essens als Schlüsselfigur heraus. Ihre Geschichte verbindet die verschiedenen Ebenen des Buchs.

Kéfi

Das Wort Kéfi lässt sich nicht direkt ins Deutsche übertragen. Darin sind mehrere Konzepte enthalten, die sich berühren und manchmal greifbar, dann wieder flüchtig sind. Kéfi ist ein positives Gefühl der Freude und doch zugleich untrennbar mit dem zuweilen Schwermütigen verbunden. Das Kéfi zu spüren, ist die Fähigkeit, das Leben, den Augenblick voll und ganz zu leben, unabhängig von der eventuellen Schwere des Alltags und der Sorgen. Eine grosse Leidenschaft und Liebe zum Leben kommt dabei zum Ausdruck, und dies zeigt sich besonders in schwierigeren Zeiten. Es ist die Sensibilität, das Schöne im Einfachen, im Alltäglichen und im Vergänglichen wahrzunehmen, wie etwa in einer kleinen Geste, einer Aufmerksamkeit oder einem Ritual. Das Kéfi erwacht beispielsweise durch die Wärme einer Mahlzeit in guter Gesellschaft, einem schlichten und doch wunderbaren Essen oder beim gemeinsamen Tanzen und Musik machen. Wie und wo wir das Kéfi finden, ist sehr individuell. Es bedeutet auch, in einer Tätigkeit ganz aufzugehen, sei es beim Arbeiten und Schaffen jeglicher Art, sei es beim Kochen, beim Pflegen eines Gartens oder beim Schreiben. Kéfi geht weit über den Begriff des blossen Geniessens und damit des Konsums hinaus; es beinhaltet die eigene Aufmerksamkeit und das Eingebundensein in das gegenwärtige Geschehen. Die Wertschätzung für die Lebendigkeit der Gegenwart lässt das Kéfi wachsen, und die Empfänglichkeit dafür wird zu einer Haltung dem Leben gegenüber. Mit ein bisschen Meráki kann Kéfi fast überall und immer entstehen, sei es in der Einsamkeit oder zusammen mit anderen. Tatsächlich ist es die Fähigkeit, Möglichkeiten und Freiräume zu erkennen und aus eigener Kraft zu erschaffen.

Paréa

Das zusammen Sein – im Sinne von gemeinsam existieren und verweilen – ist wichtiger Bestandteil der griechischen Kultur und hat einen hohen Stellenwert im Fluss des Alltags. Als Kitt familiärer und grösserer sozialer Strukturen ist es grundlegend. Gerade wegen der gewaltvollen politischen und sozialen Verhältnisse, welche die Geschichte Griechenlands prägten, ist die Wertschätzung für das simple Zeit-Haben und das gemeinsame Zeit-Verbringen gross. Das Bewusstsein um den historischen Hintergrund ermöglicht das Verständnis für die Suche nach Zugehörigkeit. Die Paréa, die Gesellschaft und Gemeinschaft mit anderen, ist unter solchen Voraussetzungen essenziell. Die Paréa ist zunächst der Kreis von Freund:innen und Familie. Doch eine Gemeinschaft, in der Verbundenheit möglich wird, kann ebenso spontan entstehen und sich unverhofft vergrössern. Sei es im Augenblick, an einem bestimmten oder einem zufälligen Ort, wie bei einem Konzert, in einem Theater oder in einem Kunstraum, in dem eine Erfahrung kollektiv erlebt und geteilt wird. Oder in einer Taverne, wo Fremde sich begegnen, zusammen verweilen, demselben Lied lauschen oder sich bei Tisch in ein Gespräch vertiefen. Wie Fremdsein und Teilwerden verschwimmen, versinnbildlicht das griechische Wort Xénos/ Xéni. Es bedeutet Fremde:r und zugleich Freund:in und Gast. Das Eine kann fliessend in das Andere übergehen. Wenn wir also miteinander kochen, zusammensitzen und eine Mahlzeit teilen, nehmen wir uns Zeit. Es liegt eine grosse Schönheit in der Wiederholung. Wir begrüssen den Tag und schliessen den Kreis am Abend wieder gemeinsam. Wir erzählen Geschichten oder geniessen einfach schweigend das Essen. Wir machen eine bewusste Pause, erfreuen uns an der Gesellschaft, an der Familie, am Kreis der Freund:innen oder an uns selbst. Und nie gleicht ein Tag dem anderen.  

Aus dem einleitenden Kapitel Kontext, Amphorea Me Kéfi, 2021

 

Reproduction of the book: Martina Meier

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