Pale Shapes Of Livers And Kidneys, Publication, 2023
Pale Shapes Of Livers And Kidneys, 18 x 25 cm, 80 pages, offset print, Lessebo and Daunendruck paper, hardcover, bound, edition of 450 copies, published by Kunstmuseum Solothurn
textWenn ich nicht weiss, wo ich anfangen soll, beginne ich immer mit meinem Körper, meinem intimsten Navigationsinstrument. Stell dir vor, wie ich, umarmt von Berghängen und mit dem Bauch nach oben, in dunkelblauen Gewässern treibe. Meine Hände sind hinter meinem Kopf ausgestreckt, während meine Beine den griechischen Buchstaben lambda (Λ) bilden. Der Golf füllt die Konturen meines Körpers aus, wir sind in einem Kontinuum aus Wasser verschmolzen.
Schwimmen kam vor der Angst. Lass los und das Wasser wird dich tragen, so wie du es in dir trägst. Eine einfache Erinnerung daran, dass dein Körper zu mehr als der Hälfte aus Wasser besteht. Forme deine Hände und Beine wie ein Deutsches ‹c›, das unbedingt ein ‹o› werden will, und drücke das Wasser sanft von dir weg, um dich vorwärts zu schieben. Forme den perfekten Kreis, indem du mit deinen Beinen zwei unvollkommene Hälften bildest und das Wasser hinter dich drückst.
Das griechische Wort für Golf ist ‹kólpos›, ein maskulines Substantiv. Es bezeichnet einen bestimmten Entstehungsprozess der Küste oder einen Meeresarm. Es wird auch mit verschiedenen Hohlräumen des Körpers in Verbindung gebracht, wie zum Beispiel der Vagina und dem Raum zwischen unseren Armen, der eine Umarmung symbolisiert. Hier werden Körper und Landschaften austauschbar und teilen eine ganz eigene Psychogeografie. Der Golf steht für ein Gefühl der sicheren Bindung, eine Art ideale Bezugsperson, die immer dazu bereit ist, einen zu umarmen.
Der Ur-Spiegel ist das Wasser. Auf ihm spiegeln sich unsere Perspektiven auf den Golf von entgegengesetzten Seiten wider. Ich befinde mich auf einer Fast-Insel, die einem im Süden gelegenen Blatt ähnelt, während du das gleiche Gewässer vom Norden aus überblickst. Der Golf von Korinth überbrückt unsere Distanz und besänftigt unsere Trennung. Um dich zu erreichen, überquere ich die Isthmusbrücke und reise zur antiken Weissagungsstadt Delphi, dem Nabel der Welt, dort wo die Zukunft angeblich sicher in den Eingeweiden der Erde verborgen liegt.
Heute heben Maschinen den terrakottafarbenen Boden aus. Die rote Erde, die an die römischen Dachziegel typisch griechischer Provinzhäuser erinnert, symbolisiert traditionell Fruchtbarkeit, Potenzial und Sicherheit. Hier jedoch handelt es sich um giftige Industrieabfälle eines Aluminiumwerkes, die bereits 17 % des Meeresbodens bedecken.
Schweissgebadet tauche ich bei Galaxidi ein, um mich abzukühlen. Ich stehe mit leicht angewinkelten Beinen am Rand der Betonplattform, strecke meine Arme aus und ziele auf das Wasser. Als ich ein paar Zentimeter tief eintauche, spüre ich ein scharfes Brennen – der Stich einer Pelagia Noctiluca, einer nicht heimischen lilafarbenen Qualle. Wie kann ein Körper, der zu 98 % aus Wasser besteht, solche Schmerzen verursachen?
Die einladende Wasseroberfläche steht im Kontrast zu dem brennenden Gefühl auf meiner Haut. Der rote Schlamm auf dem Meeresboden und der warme Wasserstrom aus einem nahen Gaskraftwerk sind ein Brutkasten für Quallen. Im Ballastwasser von Schiffen eingeschleppte fremde Meerestiere tragen zur Komplexität der sich verändernden Gewässer im Golf bei. In dieser seltsamen neuen Umgebung behaupten sich die Meeresorganismen mit Zähnen und Tentakeln und beanspruchen ihr neu gefundenes Zuhause für sich. Vielleicht ist jegliches Wasser fremd, mitgebracht von einem Asteroidenregen vor Millionen von Jahren. Doch der anhaltende Stich lässt mich im Unklaren darüber, wo ich am sichersten und wo am verletzlichsten bin.
Von Wasser zu Wasser frage ich mich: Wie können wir uns weiterhin gegenseitig tragen?
Eleni Riga, Ein Brief vom Golf
The publication Pale Shapes Of Livers And Kidneys accompanied the exhibition Tides at Kunstmuseum Solothurn (fall 2023). It holds a collection of text fragments and imagery around the processes leading up to the exhibition. With contributions by Lara El Gibaly and Eleni Riga. Developed in close exchange with curator Meret Kaufmann. Graphic design by Martina Meier, Bureau Mia, Zurich, published by Kunstmuseum Solothurn.
The ground is strangely soft. It yields to steps, absorbs the world’s noise. It creates a bubble, a temporary vacuum in the middle of the island where the landscape turned itself inside out. In the absence of sound, awareness turns inward. A constant rush of blood accompanies my breathing and the palpitations of my heart. Suddenly I sense a high-pitched note, a sharp tone of alert.
Text fragments from the publication Pale Shapes of Livers And Kidneys
Slender black snakes wriggle in night waters, glide beneath me in silence. I am a pale stain in dark water, shiny petroleum. I try to maintain my state of suspension so as not to disturb them. They do not attack; they whisper voiceless riddles.
The perspective shifts. Now I gaze up from the seabed at my own body afloat, below it the swarm of snakes, articulating question and exclamation marks, circles, long dashes and loops of infinity. They glide through the water, probing hollows and clefts in the rocks, liquid cracks in black glass.
A dead moray eel floats five fingerbreadths below the glittering surface, upside down, powerless jaw agape.
Late in the day, the arsenic-coloured lake turns kyparissi, the colour of cypresses. The moon paints pale dots, pale shapes of livers and kidneys.