Harvesting Tears – Swiss Art Awards, 2024

Harvesting Tears (2024), Swiss Art Awards, Messehalle Basel
Installation shots: Anita Muçolli & Dimitra Charamandas

In Harvesting tears (2024) setze ich mich mit den Themen Endlichkeit und Transformation, mit den Enden und Anfängen von Zyklen auseinander. Den Rahmen bildet ein geologischer Kontext, in dem sich auch ein scheinbar ewig geerdetes Wesen wie ein Berg unter konstanter Spannung und unaufhörlich in Bewegung befindet, sofern sich mensch in seine Zeitdimensionen hineinzudenken vermag.

Vulkanische Topografien bilden als Orte der Übergänge wichtige Ausgangspunkte für meine Arbeit. Zentral ist in diesem Fall ein kahler, sonnenexponierter Feuerberg; hier trifft Tiefenzeit auf explosionsartige und unmissverständliche Veränderungen. Das Subterrane und die sichtbare Oberfläche stehen in einem intensiven Verhältnis zueinander, Zerstörung und Fruchtbarkeit sind eng miteinander verbunden.

Neben dem Feuerberg ist Mastix, das Harz der Mastixbäume, der zweite zentrale Bestandteil der Installation. Es ist zu Beginn das Bild einer Mastixträne zwischen meinem Daumen und Zeigefinger, welches meine Aufmerksamkeit weckt: Ein amorpher Tropfen, der sich – sobald seine matt hellgelbe Oberfläche mit Feuer in Berührung kommt – verflüssigt, um sogleich glasklar erneut zu erstarren.

Mastix leitet sich etymologisch von masticháo ab (Griech. μαστιχάω, mit den Zähnen knirschen). Über die Form der Träne sowie die sprachliche Herleitung von Mastix entsteht eine Verbindung zu körperlichen Reaktionen des Menschen, zu Zähneknirschen und Weinen. Neben den alltäglichen Ritualen des Zusammenkommens um geteilte Mahlzeiten setze ich mich seit einiger Zeit mit Ritualen des kollektiven und individuellen Trauerns auseinander. Im Zusammenhang damit interessieren mich diese intimen Reaktionen im Speziellen als Ausdruck von Anspannung, Wut und Trauer angesichts sich drastisch verändernder Ökosysteme und soziopolitischer Katastrophen. 

Der Mastixbaum (Pistacia lentiscus) gedeiht im Mittelmeerraum und in Teilen des Nahen Ostens. Auf der ost-ägäischen Insel Chíos ist das Zusammenspiel der Bäume mit Boden und spezifischem Klima ideal, nur unter diesen Umständen härten die Harztropfen zu den kostbaren Tränenaus. Die Tränen werden durch das Anritzen der Rinde geerntet; eine fein ausgestreute Schicht, ein Bett aus Kalk, fängt die Tränen auf, welche danach in aufwändiger Arbeit von den Frauen der Gemeinschaft sortiert und gereinigt werden. Mastix wird vielseitig verarbeitet und in verschiedenen festen, flüssigen und flüchtigen Zuständen genutzt, in der Küche und im Handwerk sowie bei Ritualen und in der Medizin.

2012 fiel ein Grossteil aller Mastixbäume auf Chíos Waldbränden zum Opfer. Feuer sind mehr denn je Teil der Lebensrealität sowohl an den Schwellen als auch in den Landschaften des globalen Südens. Das Verschwinden von Bäumen aus dem Landschaftsbild weckt zudem Assoziationen zur mutwilligen Rodung von Wäldern durch gelegte Feuer, die gewaltsam Platz schaffen für Industrie und Tourismus – oder zum Akt der Entwurzelung ganzer Haine in Kriegs- und Belagerungskontexten, als destabilisierendes Mittel und mit dem Ziel des Entzugs essentieller Lebensgrundlagen.

In der Installation fehlen die Bäume. Mit der Arbeit thematisiere ich davon ausgehend Verlust und stelle die Frage nach dem Umgang damit. Wie kippen Wut und Trauer nicht in Ohnmacht und lähmende Krankheit, sondern lassen sich in Antrieb umwandeln, der zu mehr Wirksamkeit beiträgt? Wie wichtig ist das Trauern um ein Ende – für einen anderen Anfang? Und wie schaffen wir die persönlichen und geteilten Räume dafür?

Grounding place (2024), gesso and acrylic on cotton, 411 x 175 cm
Image: David Aebi

Lament (Grinding teeth) (2024), molten mastic resin tears, mastic essential oil, low fired ceramics, approx. 50 x 25 x 20 cm

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